Wir lernen den Patienten Yannik Reutler (25) aus Völklingen eher zufällig im Rahmen eines Fotoshootings auf der Station für Querschnittgelähmte (Station Q) kennen. Seine Krankengeschichte ist bemerkenswert, aber noch mehr beeindruckt uns sein Umgang damit und seine damit verbundene, positive Art, die vielen Betroffenen Mut machen kann. Er führt das auch auf die Betreuung durch die Pflegefachkräfte der BG Klinik Ludwigshafen zurück: "Auch wenn sie mitunter gestresst sind, sie machen es wett durch Charisma, Scherze und die Tatsache, dass sie einfach wirklich da sind. Die Ärzte und Ärztinnen sieht man kurz während der Visite, die Psychologinnen und Psychologen im vereinbarten Gespräch, aber die Pflegefachkräfte sind ja doch die engsten Ansprechpersonen."
Auch die Tatsache, dass er auf der Station von Fachkräften umgeben ist und die komplette Umgebung an die Situation von Querschnittgelähmten und Rückenmarksverletzten angepasst ist, fiel ihm positiv auf: "Man merkt, dass sie damit tagtäglich zu tun haben, deshalb haben sie mehr Verständnis und man stößt auf Mitgefühl und nicht auf Mitleid."
Yanniks Mutter ist an Morbus Hippel-Lindau erkrankt, er lässt eine kurze Pause, als er den Namen zum ersten Mal erwähnt: "Viele müssen grinsen, wenn ich es zum ersten Mal sage, weil es so komisch klingt." Die Krankheit hat natürlich wenig Lustiges. Es ist eine Tumorerkrankung, bei der an jeglicher Art von Gefäßen Angioblastome wachsen können. Das sind gut- oder bösartige Neubildungen, die von den Zellen der Gefäßwände ausgehen. Umgangssprachlich spricht man von Tumoren.
Diese sind zu 99 % gutartig, aber trotzdem nicht ungefährlich. Bei Yannik wurde die Krankheit festgestellt, als er am Oberstufengymnasium mit 19 Jahren sein Abitur nachholen wollte und ständig starke Kopfschmerzen hatte. Von einer Vererbung war zwar auszugehen, die Chance, dass die Krankheit auch bei ihm ausbrechen würde, stand aber 50:50. Dementsprechend warf die Diagnose, dass auch Yannik an Morbus Hippel-Lindau leidet - eigentlich eher ein Zufallsbefund - die komplette Familie erstmal aus der Bahn.
Erst wurden bei ihm mehrere Entzündungsherde im Kleinhirn festgestellt, was zu einem ersten Klinikaufenthalt in Püttlingen führte. Da die Angioblastome in der Regel erstmal sehr klein sind, ist eine Operation nicht immer effektiv, denn die Gewebsschäden, die dadurch entstehen, beinhalten auch ein großes Risiko. Am Übergang vom Schädel zur Halswirbelsäule wurden in einem anschließenden MRT noch zwei Tumore bei ihm entdeckt, einer vorm Spinalkanal und einer dahinter. Yannik Reutler entschied sich erstmal gegen die Entfernung, in der Hoffnung, dass diese nicht weiter wachsen. Bei der regelmäßigen, halbjährlichen Kontrolle wurde seither keine Auffälligkeit mehr festgestellt. Die Schmerzen bleiben natürlich. Und auch weitere Angioblastome an anderen Stellen, die entdeckt und dann entfernt wurden, haben sich mittlerweile genau an der gleichen Stelle erneut gebildet.
Was ihn letztendlich in die BG Klinik Ludwigshafen und auf die Station Q führte, war dann ein Angioblastom in der Brustwirbelsäule. Das Angioblastom war durchblutet und befand sich in der Nähe des Spinalkanals. Aufgrund dieser empfindlichen Stelle, musste man dann bei der Operation in einem Krankenhaus in Homburg Strom einsetzen. Das bedeutete für Yannik Reutler ein erhöhtes Herzinfarktrisiko während dem Eingriff. Von einem Herzinfarkt blieb er aber glücklicherweise verschont. Es führte allerdings zu einer Nervenüberreizung, die dann eine Querschnittlähmung nach sich zog.
Für Yannik Reutler natürlich trotzdem ein Schock, als er auf der Intensivstation wach wurde und merkte, dass er seinen Unterleib nicht spürte. Richtig realisierte er es aber erst nach einigen Stunden auf der Station, nachdem er geschlafen hatte: "Ich war weder traurig noch überrascht. Ich wusste ja, dass ich damit rechnen muss. Es war eben da und man konnte ja erstmal nichts daran ändern."
Die Ärzte und Ärztinnen gingen sogar davon aus, dass sich der Zustand nicht mehr bessern würde und Yannik Reutler sich nun auf ein Leben einstellen sollte, bei dem er vom Bauchnabel abwärts gelähmt sein würde.
Die ersten zwei Wochen tat sich auch tatsächlich nichts. Dann konnte er plötzlich seinen großen Zeh am linken Fuß bewegen. Als der behandelnde Arzt ihn bei der nächsten Visite fragte, wie es ihm ginge, war Yannik Reutlers Antwort: "Wollen Sie einen Zaubertrick sehen?"
Eine Reaktion, mit der der Arzt natürlich nicht gerechnet hatte. Als dieser die Bettdecke anhob und den wackelnden Zeh sah, war er entsprechend berührt und überrascht. Yannik Reutler erinnert sich: "Diesen Galgenhumor habe ich von meiner Mutter. Sie hat mehrere Operationen am Kleinhirn hinter sich, mit enormen Schäden und deshalb auch einen Schlaganfall erlitten. Sie musste schon alles neu lernen, mittlerweile merkt man aber von außen keinen Unterschied zwischen ihr und komplett gesunden Menschen. Wir machen flapsige Sprüche, wenn wir gemeinsam beim Neurochirurgen sind. Das ist unsere Art, damit umzugehen."
Nach dem tollen Erlebnis mit dem wackelnden Zeh, kam Yannik Reutler dann für mehrere Monate zur Akut-Rehabilitation in die BG Klinik Ludwigshafen auf die Station Q. Erstmal mit dem Ziel, ihn so weit aufzubauen, dass er seinen Alltag meistern und alleine zurechtkommen kann.
Zuerst wurde bei ihm ein ASIA-Test durchgeführt. Die ASIA-Klassifikation ist eine medizinische Klassifikation, die bei Rückenmarkverletzten angewendet wird, um mithilfe einer strukturierten körperlichen Untersuchung die Querschnittlähmung des Patienten objektiv zu beurteilen.
Die ersten Werte waren bei ihm anfangs niedrig, vor allem im unteren Bereich seines Körpers, weshalb zuerst der Oberkörper gestärkt wurde. Nach und nach kamen neue Übungen dazu, unter anderem trainierte er unter Anleitung seiner Physiotherapeutin mit einem Gurt und ohne Belastung am Laufband. Für ihn ein Riesenerfolg, wenn auch ein anstrengender und schweißtreibender. Die Ergotherapeutin Gudrun Ruland kann sich noch gut an den Patienten erinnern: "Durch seine Euphorie hat er sich selbst so motiviert, dass er mit einem besseren Ergebnis entlassen werden konnte, als man ihm vorausgesagt hätte."
Als wir ihn Mitte Oktober treffen, kann er seine Füße schon wieder selbst anheben. Seitdem verbessert sich seine Mobilität stetig. Wie weit er wieder hergestellt werden kann, ist noch nicht klar: "Ich bin kein Arzt, es kann sein, dass ich auf dem aktuellen Stand stehen bleibe. Kann aber auch sein, dass ich bald vom Saarland aus nach Ludwigshafen pilgere", lacht Yannik Reutler.
Momentan bewegt er sich noch mit dem Rollstuhl fort, hat aber nahezu die absolute Kontrolle über sein linkes Bein. Auch das nimmt er mit Humor: "Mein rechtes Bein scheint eine Diva zu sein", frotzelt er. "Mal will es, mal will es nicht, manchmal macht es über lange Strecken sogar schon, was ich will."
Besonders die Begegnung mit Svenja Mayer hat ihn nachhaltig beeindruckt und auch motiviert. Sie ist als Mobilitätslotsin auf der Station für Querschnittgelähmte an der BG Klinik Ludwigshafen tätig und nahm mit ihrem Team im Rollstuhlbasketball bei den Paralympics in Tokio teil. Das führte ihm vor Augen, dass man auch mit einer Querschnittlähmung noch vieles erreichen kann.
Er konnte unmittelbar nach der Reha seinen Beruf in einem IT-Unternehmen wieder aufnehmen und wird aktuell ins Berufsleben integriert. Zum Glück liegt seine Arbeitsstätte auf einem Gelände, das er mit seinem Rollstuhl bewältigen kann, er hat auch einen barrierefreien Arbeitsplatz. Und wer weiß, vielleicht pilgert er wirklich in einigen Monaten in die Pfalz? Wir wünschen ihm auf jeden Fall stetige Besserung!
Was ist Morbus Hippel-Lindau bzw. VHL (von Hippel-Lindau-Syndrom)?
Die beiden Namensgeber der seltenen, erblichen Tumorerkrankung sind der deutsche Ophthalmologe Eugen von Hippel und der schwedische Pathologe Arvid Lindau. Die Betroffenen entwickeln gutartige, geschwulstähnliche Gewebsveränderungen (Angiome), meistens im Netzhautbereich des Auges und im Kleinhirn, diese können aber auch im Bereich den Großhirns oder bei Männern im Bereich der Nebenhoden auftreten. Eine Operation wird abhängig vom Ort und der Ausprägung der Angiome gemacht, es gibt mehrere, unterschiedliche Operationstechniken und Therapiemöglichkeiten.