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Vom Rettungsdienst über das Physikstudium zum leitenden Physiotherapeuten

Geschrieben von Nadine Schmidt | 12.Februar 2024 12:02:46

Seit Juli 2023 ist Simon Kaufmann der Gruppenleiter für die Physiotherapeuten und Physiotherapeutinnen, Ergotherapeuten und Ergotherapeutinnen im Fachbereich Querschnitt und Schmerzmedizin der BG Klinik Ludwigshafen. Der Physiotherapeut füllt sein Amt mit Elan und Leidenschaft aus, dabei wollte er eigentlich ursprünglich Physik studieren. Der Sprung vom Analysieren der grundlegenden Gesetzmäßigkeiten der unbelebten Natur, hin zum direkten Umgang mit Menschen und individueller Therapie ist groß. Wir haben ihn zum Gespräch gebeten und einiges über seine Pläne und Werte als Führungskraft, aber auch über seinen Enthusiasmus für seine Fachgebiete und das Team erfahren.

Seit wann sind Sie in der BG Klinik beschäftigt?

Das erste Mal, dass ich hier irgendwie tätig war, war schon 2003, da habe ich Zivildienst im Rettungsdienst gemacht und war beruflich also ab und zu mal hier. Dann wollte ich studieren und habe dann aber nach einem Semester gemerkt, dass Physik doch nichts für mich ist (lacht).

Bemerkenswerter Sprung vom Rettungsdienst zum Physikstudium?

Ja, das hatte ich so in der 10. oder 11. Klasse mal beschlossen, dass ich Physik studieren will, habe dann aber nach dem Abitur erstmal Zivildienst gemacht und Rettungsdienst war für mich da das Interessanteste. Und beim Sprung vom Rettungsdienst zum Physikstudium wurde mir klar, dass Letzteres auch sehr langweilig sein kann (lacht).

Eigentlich ein Argument für den Zivildienst?

Ja, ich fand den Zivildienst super. Ich war einer der Letzten, die den noch machen mussten, meine Zeit war auch schon verkürzt. Danach bin ich dann aber auch noch im Rettungsdienst geblieben, da ich auch einer der Ersten war, die nach dem G8-Modell (Anmerkung der Red.: Die Abkürzung G8 steht für acht Jahre, das Abitur wird nach der zwölften Jahrgangsstufe erlangt.) unterrichtet wurden. Und die Unis waren nicht auf den Zulauf vorbereitet, sodass für mich ein Leerlauf entstand. Wenn man aber erst mal von diesen medizinischen Themen angefixt ist, dann erscheint einem im Labor sitzen und Versuchsreihen machen dagegen richtig langweilig. Also kam ich dann auf die Idee Medizin zu studieren, da war aber mein Durchschnitt doch nicht so ganz ausreichend… (lacht).

Keine Eins in Kunst und Sport?

Genau, also standen für mich dann Pflege oder Physiotherapie zur Debatte und ich habe mich für Letzteres entschieden, und zwar einfach, weil ich keinen Schichtdienst machen wollte. Das war damals als junger Mensch noch mein ganz simples Entscheidungskriterium. Ich habe mich dann hier in der PT Schule für Physiotherapie an der BG Klinik Ludwigshafen beworben und einen Platz bekommen und nach dem ersten Semester dort war mir schon klar, dass es das ist und ich meinen Plan mit dem Medizinstudium lieber aufgebe (lacht). Physiotherapie ist viel cooler.

Können Sie das konkretisieren?

Na ja, ich hatte mich ja gegen das Physikstudium entschieden, weil ich was mit Menschen machen wollte. Und so wie ich das im Rettungsdienst und bei praktischen Einsätzen mitbekommen habe, hat man als Arzt nicht wirklich viel Zeit mit den Patienten. Hausärzte verbringen laut Statistiken zweieinhalb Minuten mit jedem, die Visiten müssen auch zügig laufen. Ich hätte mich dann für Chirurgie entschieden, aber selbst da ist die Zeit mit den Patienten ja vorrangig die während der Operation, in denen die schlafen und nichts mitbekommen. Als Physiotherapeut interagiert man wirklich mit ihnen, das hat mir gefallen. Nach der Ausbildung habe ich mich hier beworben und bin auch gleich genommen worden, von 2008 bis Ende 2015 habe ich dann in der BG Klinik Ludwigshafen als Springer in der Unfallchirurgie gearbeitet. Ich war auf der Station9, der Privatstation auf der alle Fachrichtungen vertreten waren, auf der Station 4 mit dem Schwerpunkt Knie- und Fußchirurgie und auch für fast ein Jahr auf der Intensivstation, habe auch schon erste Erfahrungen in der Reha gesammelt. Ich habe viel gesehen und fand es toll, Springer zu sein.

Über Umwege habe ich dann davon gehört, dass eine Klinik in der Südpfalz eine Stelle für die Abteilungsleitung Physiotherapie ausgeschrieben hatte. Dort habe ich mich beworben, es hat geklappt. Ich fand auch die ländliche Umgebung schön und war dann dort über 7 Jahre als Leitung tätig. Am Anfang war die Fahrt dorthin angenehm, aber auf Dauer wurde die lange Fahrt über die Dörfer wirklich anstrengend für mich. Und irgendwie habe ich die BG dann doch vermisst, ich war ja auch immer gerne hier.

Einige neue Erfahrungen konnte ich aber in diesen Jahren sammeln, in der orthopädischen Rehabilitation, Neurologie und Geriatrie, und dann habe ich einfach hier einfach nochmal mein Glück probiert. Jetzt bin ich hier als Gruppenleitung zuständig für Querschnitt und Schmerzmedizin, diese Kombination hat mich sehr angesprochen. Gerade in der Schmerzmedizin tut sich in den letzten Jahren so viel. Man hat neue Erkenntnisse und versteht, wo der Schmerz herkommt, hat viel mehr Möglichkeiten, um sinnvoll etwas zu tun.



Was ist an den Änderungen in der Schmerzmedizin spannend?

Dass es mittlerweile Modelle gibt, die erklären können, warum die Menschen überhaupt Schmerzen haben. Das war ja ein großes Mysterium, man wusste es nicht so genau. Aus diesen neuen Erkenntnissen leiten sich auch immer Möglichkeiten ab, etwas zu tun, und zwar nicht nur rein medikamentös. Mittlerweile weiß man, dass Krafttraining immer ein Baustein sein sollte. Und dass man die biopsychosoziale Komponente beachten soll, dass jemand der eine kaputte Hand hat, nicht einfach nur Schmerzen hat, sondern daraus auch noch anderes resultieren kann.

Das kann Auswirkungen auf das komplette Leben haben. Viele Patienten haben falsche Vorstellungen in ihrem Kopf. Es gibt eine Uni, die machen eine open label Placebo-Studie. Die Probanden wissen also, dass in der Tablette nichts drin ist, sollen sie aber trotzdem nehmen und schauen, was passiert. Und es stellt sich häufig eine positive Wirkung ein, obwohl die Leute wissen, dass eigentlich kein Wirkstoff drin ist.

Das ist total spannend, funktioniert aber andersherum mit Nocebos, auch ohne Medikamente über das Gespräch. In der Therapie achtet man mittlerweile darauf, dies zu vermeiden. Man sagt gerne mal unbedarft zu einem Hüft-TEP-Patienten "Sie dürfen das Bein nicht über 90 Grad heben, sonst springt die neue Hüfte raus." Das sagt man am Anfang, wenn das ein kleines Risiko sein könnte. Aber bei den Patienten brennt sich das massiv ein. Ich hatte mal einen Patienten, der seine Wohnung umgebaut und darauf angepasst hatte, dass er sein Bein nicht über 90 Grad beugen dürfe.

Kann man an dieser negativen Beeinflussung arbeiten?

Ja, daran kann man arbeiten, sodass man es relativiert. Es gibt aber auch Menschen, die sind epigenetisch dazu angelegt, stärkere Schmerzen zu haben und wenn die dann einen Unfall haben, dann ist das besonders. Da ist die Forschung noch nicht so weit, bei CRPS wird ja auch weiterhin viel geforscht und man hat unterschiedliche Ideen, woran es liegen kann.

Was ist CPRS?

CRPS ist das komplexe regionale Schmerzsyndrom, dessen Ursache noch nicht vollends geklärt ist. Das haben wir relativ häufig hier, gerade an der Hand kommt das gerne mal vor. Manchmal sind das Bagatelltraumata, die Patienten haben sich die Hand angeschlagen oder einen Haarriss, und können dann aber jahrelang die Hand nicht richtig benutzen. Manche haben auch richtig etwas kaputt und daraus kann sich das auch entwickeln.

Man muss also immer sehr individuell auf die Patienten schauen?

Ja, muss man. Die Patienten sind sehr speziell, aber bis sie hier in der Schmerztherapie landen, haben sie auch teilweise einen jahrelangen Leidensweg hinter sich. Vor Kurzem hatte ich eine Patientin, die hat seit 20 Jahren Schmerzen, das ist schwierig.

Da ist man schon so gewohnt Schmerzen zu haben, dass man gar nicht merkt, wenn man weniger hat?

Es kann vorkommen, dass man so daran gewöhnt ist, dass sich die Schmerzen gleich anfühlen, obwohl die Ursache gar nicht mehr in vollem Umfang vorhanden ist. Das ist sehr komplex.

Dazu empfehle ich jetzt mal die Podcastfolge mit Beatrix Steinborn, die die Schmerzmedizin ärztlich leitet und in "Herzfrequenz - der Podcast der BG Klinik Ludwigshafen" spannend über das Thema Schmerzen gesprochen hat.

Das Thema ist megaspannend, hat auch sehr viel mit psychologischer Begleitung und Entspannung, aber eben auch mit Kommunikation zu tun. Es ist wichtig, dass man auch im Team sehr viel miteinander redet. In der Klinik gibt es wohl keinen Bereich, der so viele Besprechungen und Visiten hat, wie die Schmerzmedizin. Man braucht das aber tatsächlich, es sind manchmal Kleinigkeiten, die entscheidend sind.

Wie sich Patienten in der Visite verhalten, was gut funktioniert und was weniger. Darüber müssen alle im interdisziplinären Team informiert sein, damit sie darauf reagieren können. Der Austausch ist wichtig und funktioniert erfreulicherweise sehr gut. Im Querschnitt-Team ist der Austausch auch sehr gut, auch hier ist es eine gut harmonierende Einheit und es ist ein sehr angenehmes Zusammenarbeiten.

Querschnitt ist ein komplexes Fachgebiet, das man sich schwer anlesen kann, das hat mir zumindest die Kollegin Kerstin Heinz in "Herzfrequenz - der Podcast der BG Klinik Ludwigshafen" im Hinblick auf die Pflege in der Folge über das Case-Management berichtet. Trifft das auf die Physiotherapie im Querschnitt auch zu, dass man da sehr viel Erfahrungen haben muss?

Jein, es ist auf jeden Fall hilfreich, wenn man schon viel Erfahrung hat. Deshalb bin ich auch froh, dass wir Kollegen im Team haben, die schon sehr lange dabei sind, die den Job schon seit 30 Jahren machen. Die einzelne Behandlung als solche könnte theoretisch jeder durchführen. Man muss die Leute durchbewegen, die können es ja nicht selbst, man muss Übungen machen, damit sie sich stützen und umsetzen können. Das ist nicht das Problem.

Die Kunst ist, zu wissen, wann mache ich welche Übung und in welchem Umfang. Was kann ich auch erwarten von dem Patienten? Jeder Querschnitt ist anders, je nach Verletzungsmuster hat man dann doch noch Restfunktion oder eben gar nichts mehr. Manche haben massive Spastiken, das muss aber nicht schlecht sein, manche können die für den Alltag geschickt einsetzen.

Und da kommt dann die Erfahrung hinzu: Ist das jemand, dem helfe ich dabei, dass er stabil sitzen kann, aber mehr erstmal nicht, das lohnt sich in dem Stadium noch nicht für den Patienten. Oder ist das jemand, den muss ich richtig pushen, damit er sich anstrengt, denn der kann noch was und muss einfach nur richtig Kraft kriegen? Da braucht man Erfahrung, das ist für mich die größte Herausforderung aktuell. Dieses Wissen, das die Mitarbeitenden hier haben, möglichst auf die neue Generation zu übertragen.

Teambesprechung, eine schöne Mischung aus "Urgesteinen" und neuen Mitarbeitenden


Wie macht man das, legt man da ein Wiki an?

Ich bin noch nicht so ganz schlüssig, würde gerne interne Fortbildungen wieder verstärkt einführen. Dass man sich einmal im Monat eine Stunde Zeit nimmt, gemeinsam Fälle bespricht oder die Kollegen berichten an die anderen. Auch alle Prozessbeschreibungen habe ich nun überarbeitet, da hat sich mittlerweile einiges geändert und das muss schriftlich fixiert werden. In der Klinik in der Südpfalz hatten wir einen sehr aktiven Mitarbeiter im Qualitätsmanagement was ich anfangs nervig fand, aber es hat auch Vorteile (lacht). Ich trage aktuell alles zusammen, versuche es zu bündeln. Was gibt man an, bei einer Rollstuhlbestellung? Welchen Unterschied macht es, ob der Rollstuhl 46 cm oder 48 cm breit ist?

Die QM-Dokumente braucht man dann, wenn man am wenigsten Zeit hat, um sich auf festgelegte Prozesse berufen zu können. Aber man braucht im Vorfeld viel Zeit, um das einmal korrekt zusammenzufassen und dann aktuell zu halten.

Ja, das Aktualisieren ist das größte Problem, dranbleiben und Änderungen immer zu berücksichtigen. Da bin ich sehr dankbar dafür, dass hier in der Klinik ein Bewusstsein dafür besteht, dass man als Gruppenleitung nicht voll mitarbeiten kann und dann den Rest mal noch so nebenbei macht. Wir arbeiten natürlich noch mit, es ist aber auch in der allgemeinen Wahrnehmung angekommen, dass man in seinem Büro ist und solche Aufgaben erledigen muss.

Wie ist aktuell die Gewichtung Praxis und Theorie und wie sollte sie sein?

Es sollte, natürlich immer bedarfsabhängig, so 50:50 sein. In meinem Bereich sind wir gerade vollbesetzt, von daher habe ich den Luxus deutlich mehr machen können. Vor einigen Wochen sah es genau andersrum aus, da hatte ich wenig Zeit dafür und war fast nur "an der Bank gestanden".

Man kann ein guter Physiotherapeut sein, sobald man eine Leitungsfunktion übernimmt, muss man natürlich auch noch andere Stärken wie sprachlichen Ausdruck, Team- und Gesprächsführung mitbringen, gibt es dafür vorbereitende Weiterbildungen?

Ja, die gibt es. Es gibt mittlerweile Fortbildungen, die sich auf die Gesprächsführung, auch mit Patienten, beziehen. Hier im Haus ist das sogar schon Bestandteil der Ausbildung für alle Physiotherapeuten, wir hatten auch ausgedehnten Unterricht in Psychologie. Die Ausbildungsverordnung für Physiotherapeuten ist aus den Achtzigerjahren glaube ich, die ist dringend anzupassen, das hängt aber immer von der Schule ab. Wir haben hier in der BG Klinik für die Leitungen Führungskräfte-Schulungen, das finde ich wirklich klasse. Mir gefällt besonders, dass die Gruppen so gemischt sind, sodass man querbeet durch das Haus Eindrücke erhält und dass die Schulungen auch regelhaft angesetzt sind, das ist genial.

Wie waren die Reaktionen von den Kollegen, als sie nun nach den Jahren in die BG zurückgekommen sind?

Sehr positiv, wirklich. Einerseits war ich positiv überrascht, dass ich noch so viele Leute kenne, es sind erfreulich viele noch da. Ich habe nur positive Resonanz bekommen, aus allen Berufsgruppen quer durch die Klinik wurde ich von den Hilfskräften bis zu den Oberärzten wiedererkannt und freudlich begrüßt. Im Team selbst kannte ich noch einige von früher, die mir gegenüber offen waren. Ich bin mit offenen Armen von allen willkommen geheißen worden.

Was sind die wesentlichen Änderungen in der Klinik, die Sie bemerkt haben?

Früher gab es eine Abteilung Physiotherapie und eine Ergotherapie, jetzt sind wir gemeinsam unter Stationäre Physiotherapie und Ergotherapie zusammengefasst, haben eine gemeinsame Leitung. Das finde ich gut. Das Essen ist weiterhin gut, ich könnte mich in das Kartoffelgratin hereinlegen (lacht), da hatte ich echt Bedenken, ob es noch so gut schmeckt.

Es gab auch räumliche Veränderungen, sodass der Eingang ganz anders ist und es gibt jetzt den Kleiderautomaten, in den man dreckige Dienstkleidung einwirft und neue saubere Dienstkleidung bekommt. Das ist sehr angenehm. Generell ist hier die Ausstattung besser und wenn man etwas für die Patienten oder Patienten braucht, dann gibt es das auch.

In diese Richtung hat sich auch die Pflegedirektorin Andrea Jurcicek im Interview geäußert, dass man sich in der BG Klinik "nicht um einen Lifter streiten muss".

Genau, auf der Station Q haben wir in jedem Raum Deckenlifter, das ist eine geniale Arbeitserleichterung für alle.

Was sind ihre beruflichen Ziele für die Zukunft?

Einige sind klar von außen vorgegeben, Digitalisierung und Wissenstransfer. Die Physiotherapie macht gerade einen Wandel durch und es geht hin zum wissenschaftlich, evidenzbasierten Arbeiten. Da gibt es noch wenig, aber mir ist es wichtig, dass wir Dinge tun, nicht weil wir denken, es funktioniert, sondern weil wir wissen, dass es funktioniert.

Wollen Sie sich auf bestehende Forschungen berufen oder sogar selbst welche anstoßen?

Ich selbst kann nicht wirklich forschen, würde aber Doktoranden jederzeit unterstützen. Wobei Evidenz ja nicht nur Forschung ist, sondern auch Erfahrung und Wissen, davon haben wir ja viel und das sollten wir nutzen. Wir haben auch eine Grundlage von Statistiken im Querschnitt, das könnte man auch auf die Schmerzmedizin übertragen.