BG Klinik Ludwigshafen - Blog

Über Telemedizin, ein Gespräch mit Johannes Becker

Geschrieben von Nadine Schmidt | 2.Oktober 2024 10:34:41

 

Johannes Becker ist seit 2020 an der BG Klinik Ludwigshafen tätig und bringt als Leitender Oberarzt der Klinik für interdisziplinäre Rettungs- und Notfallmedizin (IRN) sowie als Mitglied der Projektgruppe "Telekonsultation im Rettungsdienst" umfassende Expertise zum Thema Telenotarzt mit. Die BG Klinik Ludwigshafen beherbergt seit 2023 die erste Telenotarzt-Zentrale in Rheinland-Pfalz, und Herr Becker leistet dort regelmäßig Telenotarzt-Dienst. Er führte auch den allerersten Einsatz an diesem Standort durch. In unserem Podcast "Herzfrequenz – Der Podcast der BG Klinik Ludwigshafen" sprechen wir mit ihm über die Vorteile dieser modernen Erweiterung der Notfalleinsatzabwicklung, die Unterschiede zum bisherigen Vorgehen, die daraus resultierenden speziellen Ausbildungsanforderungen für Rettungskräfte und die Frage, ob diese digitale Entwicklung überhaupt optional ist. Für alle, die lieber lesen, haben wir hier das Gespräch transkribiert.  

Seit wann arbeitest du bei uns, Johannes?

Ich arbeite seit 2020 in der Klinik und bin erst in der Anästhesie gewesen, habe dann dort bei den Notarztdiensten mitgemacht und konnte dann zwei Jahre später ganz in die Notfallmedizin wechseln.

Warum bist du denn überhaupt grundsätzlich Arzt geworden? Gab es da irgendeinen Auslöser, vielleicht in der Kindheit?

Ja, ich glaube, da gab es schon früh Anzeichen. Meine Mutter hat mir zu meiner Approbation ein Bild geschenkt, auf dem ich mit einem Kindernotarztkoffer und in einer Arzttracht zu sehen bin – so, wie man sie in den frühen Achtzigerjahren hatte. Damals habe ich meine Geschwister „versorgt“. Das war noch vor der Schule, und ich glaube, das waren die ersten Anzeichen. Die Entscheidung für den ärztlichen Beruf habe ich dann im Zivildienst nach dem Abi getroffen. Da war ich im Rettungsdienst und habe mir überlegt, dass das gut passen könnte – also habe ich weitergemacht.

Ich habe den Eindruck, dass alle, die mit Notfallmedizin in Kontakt kommen, in diesem Bereich bleiben. Das scheint irgendwie ein spannender Magnet zu sein. War das bei dir auch so oder hattest du kurz die Überlegung in ein anderes Fachgebiet in der Medizin zu beackern?

In der Notfallmedizin sammeln sich tatsächlich Menschen mit einem bestimmten Schlag, würde ich sagen. Aber bei mir war es so, dass ich mir zwischenzeitlich auch andere Fachdisziplinen überlegt habe. EEine Zeit lang dachte ich, ich müsste unbedingt Kardiologe werden, und habe auch über die Unfallchirurgie nachgedacht.

Was fasziniert dich an der Notfallmedizin?

Grundsätzlich ist es so, dass wir als Notfallmediziner immer in unvorhersehbare Situationen geraten, in denen wir gut funktionieren müssen und eine gewisse Stressresistenz brauchen… (laute Rotorengeräusche vom nahenden Rettungshubschrauber)

…. Der Hubschrauber fliegt vorbei, das lassen wir immer drin, aus atmosphärischen Gründen.

Absolut. Also da irgendwie cool zu bleiben, das fasziniert mich schon und Notfallmedizin ist eine schnelle Medizin, das gefällt mir und da fühle ich mich wohl.

Wir sprechen heute aber nicht primär über die Notfallmedizin, sondern unser Hauptthema ist der Telenotarzt und zwar gab es dazu eine Pilotprojektgruppe in Rheinland-Pfalz, die 2019 gegründet wurde. Diese Arbeitsgruppe hat den Namen Telekonsultation im Rettungsdienst und du warst Mitglied dieser Gruppe. Wie sind wir mit der BG Klinik Ludwigshafen überhaupt in dieses Projekt gekommen mit unserem Standort?

Also damals hat mein ehemaliger Chef Professor Münzberg, der dieses Projekt an unser Notfallmedizinisches Zentrum gebracht und der Auftrag vom Land war, die Telenotfallmedizin auszurollen. Das gab es bisher noch nicht und wir sollten uns im Rahmen von einem Pilotprojekt als Notfallmedizinisches Zentrum für den Telenotarzt zum einen etablieren und auch das nach außen ausrollen für die Rettungsdienste und da exemplarisch für den Rest des Landes sein.

Was konntest du dazu beitragen und was genau habt ihr da gemacht?

Naja fast so ein bisschen sinnrichtig ist es dann in mein Ressort gefallen, weil meine Zuständigkeit alle präklinischen Rettungsmittel sind und der Telenotarzt gehört da dazu. Ich bin dann hier in der Klinik der Projektleiter für die Organisation und die Ausführung hier von Seiten der Klinik gewesen. Wir haben Notärzte und Notfallsanitäter für diese Tätigkeit ausgebildet und stellen jetzt unter unserer Organisation mit den Fachbereichen hier in der Klinik den Telenotarztdienst unter der Woche und perspektivisch auch dann sieben Tagen in der Woche.

Was genau ist denn überhaupt ein Telenotarzt?

Ein Telenotarzt ist ein Notarzt, der nicht physisch vor Ort ist, sondern mit einem technischen Trick, nämlich zumeist über das Telefon, über das Smartphone den Kollegen zugeschaltet ist, die eben vor Ort sind. Das Team des Rettungswagens fordert uns an und wir kommen über eine App, die uns ein Video und eine Tonübertragung ermöglicht, dann an die Einsatzstelle dazu.

Das heißt, ihr sitzt in einem Büro und beratet Notfallsanitäter, die dann aber vor Ort sind. Die beratet ihr remote oder unterstützt die, kann man das so sagen?

Unterstützen ist besser.

Genau. Kannst du nachvollziehen, dass das manche Leute erst mal irritiert und vielleicht auch ein bisschen verunsichert, wenn sie denken, derjenige, der Ahnung hat, der ist gar nicht vor Ort?

Ja, ich würde das anders sehen. Der Notfallsanitäter ist eine ausgebildete medizinische Fachkraft und die können schon ziemlich viel, auch ohne uns, aber eben nicht alles und da kann der Telenotarzt eine Möglichkeit geben, zu therapieren, ohne dass der physische Notarzt dazukommen muss, zwangsläufig.

Das heißt, der Notfallsanitäter oder die Notfallsanitäterin, die können auch kuratieren, welcher Einsatz passt jetzt für den Telenotarzt-Einsatz und das ist wahrscheinlich nicht jeder Einsatz.

Genau, also die Entscheidung, einen Telenotarzt dazu zu ziehen, liegt bei dem Notfallsanitäter, der vor Ort verantwortlich ist und die werden natürlich Einsätze raussuchen, bei denen es nicht zwingend notwendig ist, dass ein Notarzt physisch da ist, um irgendeine bestimmte Prozedur einzuleiten, zum Beispiel eine Intubation, eine Notfallnarkose etc. Was wir gut über den Telenotarzt können ist, dass wir die Kolleginnen und Kollegen beraten oder eine Diagnose gemeinsam finden, wo man vielleicht am Anfang nicht unbedingt selbst drauf gekommen wäre und wir können den Medikamentengaben ermöglichen, die sie zum Beispiel aufgrund ihrer Abdeckung durch die Ausbildungs- und Behandlungsalgorithmen in Rheinland-Pfalz, das ist sozusagen die Bibel des Notfallsanitäters und dass die Maßnahmen beschreibt, die die machen können, nicht abgedeckt wäre und da kann der Telenotarzt dann eben als Arzt die anordnen und auch die Kollegen dann rechtssicher sein lassen.

Ein Vorteil des Telenotarztes ist auf jeden Fall der Faktor Zeit, weil du natürlich nicht hinfahren musst.

Genau, wie du sagst, der Faktor Zeit ist ein wichtiger Faktor. Ich bin halt in ein bis zwei Minuten da, solange der Verbindungsaufbau eben dauert und eine gewisse Übergabe, die wir immer haben müssen, weil wir eben nicht physisch vor Ort sind und uns kein eigenes Bild von der Lage machen können und diese Verfügbarkeit, diese Schnelle ist ein Charmepunkt, den der Telenotarzt sicherlich hat.

Jetzt ist wahrscheinlich in der Notfallmedizin Kommunikation das A und O. Wie verändert sich denn die Kommunikation durch diese Distanz?

Genau, ich vergleiche das immer so mit so einem gewissen Tanz, wie so einem Ballett, den man zu zweit machen muss, weil wir eben in die Situation erst mal reinkommen müssen. Wir haben kein gedankliches Modell, wenn wir die Alarmierung sehen, weil wir einfach mit der Verbindungsaufnahme beschäftigt sind und dann sind wir in der Situation und müssen uns erst mal ein gutes Bild machen, damit wir auch selber keine Fehler machen, weil das könnte ja auch passieren, dass wir eine Fehlentscheidung treffen, weil wir eben nicht alle Informationen haben und da gibt es ein bestimmtes Übergabemodell, das wir entwickelt haben und das auch in der Notfallmedizin üblich ist und damit kommen wir in die Situation rein und dann können wir ganz normal weiterarbeiten.

Das ist interessant, weil ihr dann ja trotzdem auch in einer anderen Stimmung seid. Es ist ja was Anderes, ob du zu einem Unfallort hinläufst, diese ganzen olfaktorischen Einflüsse, die du hast oder ob du wirklich „erst mal nur einen Anruf entgegennimmst“. Sind das genau dann die Inhalte, die ihr geschult habt?

Das sind die wesentlichen Inhalte gewesen. Natürlich kommt immer so ein bisschen Theorie dazu, dass man weiß, das ist ein Notfalleinsatz wie jeder andere auch, dass man die Rechtsstellung, die man selbst einnimmt und die der Notfallsanitäter einnimmt auch versteht. Der wichtigste Faktor in der Ausbildung war uns aber, dass wir den praktischen Anteil sehr hoch genommen haben in der Ausbildung und jeder mal ausprobieren konnte, bevor der erste richtige Einsatz kommt, eine gute Vorstellung hat, was auf ihn zukommt.

Was wir jetzt auch nicht ignorieren dürfen, wenn du sagst Übertragung und wir so Stichworte wie Remote einwerfen. Wir wissen ja, wie es aussieht mit der Digitalisierung und mit der Verfügbarkeit von WLAN hier in Deutschland. Welche Auswirkungen hat das auf den Telenotarzt?

Ja, also wir haben schon Flecken in unserem Einsatzgebiet identifizieren können, in denen es einfach keine Netzabdeckung gibt und die Trägerwelle sozusagen unseres Notarztes ist der Mobilfunk. Und da, wo es keinen Mobilfunk gibt, gibt es auch keinen Telenotarzt.

Letztes Jahr im Sommer ist jetzt das Pilotprojekt Telenotarzt bei uns gestartet. Was würdest du sagen, was sind die wesentlichen konkreten Erfahrungen, die man bisher praktisch sammeln konnte?

Wir haben seit dem Kick-Off im Juli letzten Jahres immer mehr Wachen ausgerollt, immer mehr Notfallsanitäter ausbilden können und konnten zeigen, dass wir zum einen genauso sicher arbeiten können wie im physischen Notarzteinsatz, wenn wir vor Ort sind. Es gab bis jetzt keine Komplikationen im Sinne von einer nicht beherrschbaren Situation durch unsere Maßnahmen zum Beispiel. Was wir auch zeigen konnten, war, dass wir unnötige oder nicht so vordringliche Notarzteinsätze auch verhindern konnten.

Das heißt, wir konnten Kolleginnen und Kollegen auf dem NEF und dem Rettungshubschrauber ersparen, zu diesen Low-Code-Einsätzen zu fahren und die freihalten für Einsätze, wo die physische Präsenz unabdingbar ist. Und wir konnten auch Patienten Einweisungen reduzieren, die sonst in die Krankenhäuser gegangen sind und die konnte man dann beraten und zum Beispiel dann zum Hausarzt überzusteuern.

Du hast jetzt eingangs gesagt, dass dir die Notfallmedizin besonders gut gefällt, weil du sinngemäß ja nicht weißt, was kommt. Das heißt, eine gewisse Flexibilität ist vorausgesetzt, wenn man da arbeitet. Die Frage, wie ist die Bereitschaft der Notfallsanitäter, diese Aus- oder weiter Bildung zu machen?

Gibt es da auch welche, die sich das nicht zutrauen und lieber nach einem konventionellen Modell arbeiten möchten oder ist das vielleicht irgendwann gar nicht mehr optional, weil das einfach dazugehören wird?

Ja, mit so Neuerungen ist es ja immer so, dass es welche gibt, die sich auf solche Dinge nicht so gerne einlassen, weil es eben fern von dem ist, was man bisher gemacht hat. Ich glaube, dass es keine Option ist, da mitzumachen, weil diese Projekte ja nicht nur in Rheinland-Pfalz durchgeführt werden, sondern auch in allen anderen Bundesländern. Und es wird zur Tätigkeit des Notfallsanitäters und der Notfallsanitäterin gehören, auch mit einem Telenotarzt zusammenzuarbeiten.

Und von daher wird das, und da bin ich mir sicher, auch Eingang in die Ausbildung finden und die schon bereits in ihrer Ausbildungsphase da zu Kontakten mit diesem Medium, mit diesem Neuen kommen. Und da werden wir nicht drumherum kommen.

Ich könnte mir vorstellen, dass das bei den Patienten und Patientinnen vielleicht sogar „ gut ankommt“, weil es ja mal eine Änderung ist an dem Notfall. Wenn man den Notfall noch einigermaßen wach irgendwie mitkriegt, könnte ich mir vorstellen, dass das vielleicht auch ablenkt, dass man sieht, Ach, das ist ja interessant, da gibt es eine Übertragung, oder? Habt ihr da auch Rückmeldung?

Also diesen menschlichen Faktor, den darf man tatsächlich nicht außer Acht lassen. Ich kann mich an die erste Patientin hier in Rheinland-Pfalz erinnern, das war ein Telenotarzt-Einsatz, den ich geführt habe. Und die fand es total fancy, dass da jetzt der Arzt über das Smartphone mit ihr geredet hat.

Und die war am Schluss auch total zufrieden mit dem, was wir da gemacht haben. Also das darf man nicht unterschätzen. Und das ist auch eine der Möglichkeiten, die uns unser System bietet, dass wir eben eine Bildübertragung machen können und der Patient dann den Arzt oder die Ärztin im Handy dann sieht und mit der kommunizieren kann. Es wäre gelogen, wenn man sagen würde, es würde keine Rolle spielen.

Warst du denn auch schon mal auf der anderen Seite? Warst du auch schon mal selbst die Person, die einen Notfall hatte?

Nee, Gott sei Dank noch nicht tatsächlich. Ich bin bisher ganz gut so durchgekommen und habe noch keine notärztliche oder rettungsdienstliche Hilfe gebraucht.

Da hast du Glück gehabt. Ich würde sagen, wir heben uns die detaillierte Beschreibung eines Telenot-Arzt-Einsatzes mal für eine Bonusfolge auf. Bis dahin vielen Dank, Johannes. Was machst du jetzt noch heute? Hast du Dienst vielleicht?

Ich habe tatsächlich Telenotarztdienst und warte, dass sich die Kolleginnen und Kollegen melden und ich denen helfen kann.

Vielen Dank bis dahin für die Informationen und für das Gespräch. Wir hören uns in der Bonusfolge.

Sehr gerne, bis dahin.

 

Ihr findet uns bei 

🚀 Facebook
🚀 Instagram
🚀 LinkedIn