Der Pionier der Behandlung Querschnittgelähmter und Vater der Paralympischen Spiele wurde heute vor 125 Jahren, am 3. Juli 1899, geboren.
Es geht wahrscheinlich einigen Mitmenschen so, dass sie sich fragen, warum die Straße, in der sie sich gerade befinden, so heißt, wie sie heißt. Insbesondere, wenn es sich um einen Namen handelt, von dem man noch nie gehört hat. Geht man der Sache nach, stellt sich vielleicht heraus, dass der Namensgeber der Straße vor vielen Jahren mal Bürgermeister oder Schuldirektorin war, vielleicht ein Mäzen oder eine gute Seele, die sich um die Kommune verdient gemacht hat.
Wieso also heißt die Straße, an der die BG Klinik Ludwigshafen steht, „Ludwig-Guttmann-Straße“? Beim Blick ins Internet lässt sich schnell herausfinden, dass Guttmann ein jüdischer Neurologe und Neurochirurg war, der vor genau 125 Jahren am 3. Juli 1899 in Oberschlesien geboren wurde und vor den Nazis 1939 aus Breslau nach England fliehen musste. Dort wurde er für seine Verdienste um querschnittgelähmte Patienten 1966 in den Adelsstand erhoben und fortan mit „Sir“ angesprochen. Heute gilt er als der Pionier der Behandlung Querschnittgelähmter und Vater der Paralympischen Spiele.
Berufsverbot in den 1930er Jahren
Alles begann mit einem Vorfall, der sein ganzes Leben prägen sollte: Anno 1917 begegnete Guttmann einem jungen querschnittgelähmten Soldaten, während er in einem Unfallkrankenhaus als Hilfskrankenpfleger arbeitete. Er studierte dann Medizin und machte Kariere als Neurologe. Ab 1933 wurde gegen ihn wegen seiner jüdischen Herkunft ein Berufsverbot ausgesprochen, er „durfte“ aber in einem Israelitischen Krankenhaus in Breslau tätig sein. Zunächst hoffte er noch, dass die Einschränkungen bald vorüber sein würde. Erst 1939 gab er diese Hoffnung auf und folgte mit seiner Familie dem Ruf an die Universität von Oxford und war dann in der Neurochirurgie tätig.
Sport als Teil der Therapie von Kriegsversehrten
Obwohl zu der Zeit die Behandlung von gelähmten Patienten als mehr oder weniger aussichtslos galt, übernahm er zur Überraschung vieler Zeitgenossen 1943 den Aufbau und dann bis 1967 die Leitung einer neuartigen neurologischen Klinik im südenglischen Stoke Mandeville. Dieser Ort sollte später im Zusammenhang mit der Gründung der Paralympischen Spiele berühmt werden. Hier wollte man die Behandlung und Rehabilitation von Piloten der Royal Air Force gewährleisten, die bei Flugzeugabstürzen Wirbelsäulenverletzungen erlitten hatten.
An der Spezialklinik revolutionierte er die Versorgung und Behandlung der kriegsversehrten jungen Soldaten und nahm die sportliche Betätigung ins Programm auf. Guttmann glaubte, dass Wettkämpfe den Kampfgeist der Verletzten wecken und damit die Genesung voranbringen könnten.
Geburt der Paralympischen Idee
1948 fanden in Stoke Mandeville erstmals Wettkämpfe mit Teilnehmern aus anderen Einrichtungen statt. In den folgenden Jahren nahmen dann aufgrund des großen Echos auch Zivilisten an den Spielen teil, 1949 sprach Guttmann erstmals über seine Gedanken an Olympische Spiele für Menschen mit Behinderung. 1952 wurde das Thema sogar international: Die International Stoke Mandeville Games waren geboren. Daraus entwickelten sich die Paralympischen Spiele, die erstmals 1960 in Rom stattfanden. Doch der Anfang gestaltete sich steinig, die Akzeptanz mussten sich die Paralympics mühsam erkämpfen. Erst seit 1988 finden die Paralympischen Sommerspiele regelmäßig am selben Ort wie die Olympischen Sommerspiele statt. Seit 2012 müssen Städte, die sich um die Ausrichtung der Olympischen Spiele bewerben, auch die Paralympischen Spiele anbieten.
Heute ist die Idee erfolgreicher denn je. Das globale Sportereignis wird mit 22 Sportarten im Sommer durchgeführt, mit fünf oder sechs im Winter. Bei den Spielen in Tokio, die wegen Corona ein Jahr später als sonst, also 2021, veranstaltet wurden, nahmen 4.500 Sportlerinnen und Sportler aus 160 Ländern teil. Die nächsten Spiele werden vom 28. August bis 8. September 2024 in Paris ausgetragen – und Svenja Mayer, Mobilitäts-Lotsin an der BG Klinik Ludwigshafen, wird mit der Rollstuhlbasketball-Nationalmannschaft antreten.
Pionier der Behandlung Querschnittgelähmter
Mitte der 1960er Jahre trat Sir Ludwig Guttmann auch in Deutschland wieder in Erscheinung. Er wurde Berater des Bundesarbeitsministeriums und des Hauptverbands der gewerblichen Berufsgenossenschaften und stellte damit eine wichtige Verbindung zu den BG Kliniken her. Er beriet dann beim Aufbau eines ersten Zentrums für Querschnittverletzte in Deutschland und beteiligte sich bei der Errichtung der Abteilung für Rückenmarkverletzte an der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik Murnau. Dort hielt er bei der Einweihung 1969 auch höchstpersönlich einen Gastvortrag.
Sir Ludwig Guttmann starb am 18. März 1980 im Alter von 80 Jahren. Sein Name und seine Idee leben nicht nur in einem Straßennamen weiter, sondern auch in den modernen Zentren zur Behandlung Querschnittgelähmter Patienten und natürlich auch in den Paralympischen Spielen.
Weitere Infos
🌐 Zu den Paralympics 2024 in Paris: https://www.paralympic.org/paris-2024
🌐 Querschnittzentrum der BG Klinik Ludwigshafen: https://www.bg-kliniken.de/klinik-ludwigshafen/fachbereiche/detail/querschnittgelaehmte-und-technische-orthopaedie/
🌐 Über Svenja Mayer, Mobilitätslotsin der BG Klinik Ludwigshafen und Teammitglied in der Rollstuhlbasketball-Nationalmannschaft, hatten wir 2021 schon mal berichtet, den Beitrag gibt es hier: https://online.bgu-ludwigshafen.de/blog/svenja-mayer-in-tokio-dabei