Die Unfallchirurgie voranbringen                                                DKOU-Kongress 2019 - Interview mit Prof. Grützner

DKOU 2019 Orthopaedie Unfallchirurgie_BG Klinik Ludwigshafen

2019 ist für den Ärztlichen Direktor der BG Klinik Ludwigshafen Prof. Paul Alfred Grützner ein herausragendes Jahr: Er ist Präsident der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU) und zugleich Präsident der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU), der Dachgesellschaft der Unfallchirurgen und Orthopäden in Deutschland. Damit vertritt er unter anderem die Interessen von rund 11.000 Mitgliedern und zeichnet verantwortlich für den DKOU 2019, einen der größten Kongresse für Orthopädie und Unfallchirurgie in Europa im Herbst in Berlin. Im Interview verrät er was es heißt, Präsident zu sein, warum Wissen Werte braucht und warum es sich lohnt, nach Berlin zu kommen.
Herr Prof. Grützner, Ihre Präsidentschaft ist eine große Verpflichtung, zugleich aber auch eine große Auszeichnung für Sie persönlich und die BG Klinik.
Prof. Grützner: Ja, in der Tat. Es zeigt, dass in den BG Kliniken Ärzte tätig sind, die die Gesellschaft führen und auch weiterbringen können; sonst wird man nicht in ein solches Amt gewählt. In aller Regel kommen die Präsidenten aus großen unfallchirurgischen Zentren zum Beispiel Universitätskliniken oder BG Kliniken. Voraussetzung ist außerdem ein langjähriges wissenschaftliches und berufspolitisches Engagement für die Fachgesellschaft. Über viele Jahre habe ich die Arbeitsgruppe für Computerassistierte Chirurgie geleitet und war im Jahr 2004 Kongresssekretär unter der DGU-Präsidentschaft meines Vorgängers, Herrn Prof. Andreas Wentzensen. Damals wurde der Grundstein für die bundesweiten Traumanetzwerke gelegt und es war sehr spannend, dort mitgewirkt zu haben.

Ein solches Amt erledigt man nicht neben dem Tagesgeschäft. Erfahren Sie Unterstützung durch die Klinik?

Ich habe die maximale Unterstützung von unserer Geschäftsführung, Herrn Fabian Ritter und Frau Susanne Dieffenbach, die beide auch aktiv am Kongress teilnehmen werden. Ich werde außerdem personell durch ein Kongressteam unterstützt und kann mich voll auf meine Aufgaben konzentrieren. Ohne entsprechenden Hintergrund mit einem sehr guten Team und einer starken Klinik, die die Unfallchirurgie auch entsprechend nach innen und außen repräsentiert, kann man dies nicht leisten. Dr. Münzberg, Dr. Gather, die weiteren Mitarbeiter im DKOU-Team und alle anderen unterstützen mich großartig. Dies gilt auch für die Sektionsleiter und Oberärzte, die mich in meiner klinischen Arbeit entlasten. Für unsere Klinik und die BG-Kliniken insgesamt ist die Präsidentschaft natürlich auch von Bedeutung. Wir können uns in den Gremien berufs- und fachpolitisch positionieren und die Weiterentwicklung der Unfallchirurgie mitgestalten.

Der DKOU-Kongress im Herbst in Berlin trägt damit ein Stück weit Ihre Handschrift.

Als Kongresspräsident kann ich natürlich die Besonderheiten und in meinen Augen auch die Vorzüge des Systems der BG-Kliniken darstellen. Es schauen sich mittlerweile auch andere Versicherer unser System immer genauer an. Beim Thema Reha-Loch zum Beispiel steigen die Haftpflichtversicherer jetzt zunehmend mit ein, oder auch bei der sektorenübergreifenden Versorgung. Durch die Sektorengrenzen verlieren die Ärzte in den Kliniken häufig gerade schwer verletzte oder erkrankte Patienten nach der stationären Behandlung aus dem Auge. Im BG-Bereich können wir die Patienten jedoch viel langfristiger betreuen im Sinne einer lebenslangen Nachsorge und sehen die langfristigen Ergebnisse.

Der Kongress steht in diesem Jahr unter dem Motto „Wissen braucht Werte“. Was hat es mit diesem Motto auf sich?

In der wissenschaftlichen Fachgesellschaft geht es darum, die medizinischen Inhalte und Themen weiterzuentwickeln, zu fördern und letztendlich in die Versorgung einzubringen. Der Kongress vermittelt Wissen, zeigt jedes Jahr die neuen Forschungsergebnisse in unserem Bereich und hat Fortbildungscharakter gerade auch für erfahrene Ärzte. Es geht aber nicht nur um die Wissenschaft und das Wissen. Das Ganze muss unterfüttert sein durch eine Wertediskussion.

Ist das eine neue Entwicklung?

Ich glaube schon. Unser Gesundheitssystem krankt an einer überbordenden Bürokratie. Die Arbeitszeit der Ärzte wird absorbiert mit Dokumentation, Berichtswesen, Datenschutz und so weiter. All diese Richtlinien und Verordnungen müssen eingehalten werden und binden enorm viel Zeit, die dem Arzt am Patienten nicht mehr zur Verfügung steht. Unser Vergütungssystem tut ein Übriges dazu, weil es Leistungen pauschaliert. Das führt dazu, dass Kliniken, die durch ihre Organisations-Struktur oder auch durch ihre Patientenstruktur mit ihren Kosten über den Erlösen liegen, genötigt werden, zu sparen. Generell führt die Abwärtsspirale der Erlöse zum Beispiel dazu, dass in den letzten 15 Jahren vor allem im Bereich Pflege unglaublich viel abgebaut wurde, und das fällt uns jetzt vor die Füße. Im ambulanten Bereich sind die Patientenversorgung zu Nachtzeiten und die Notfalldienste hochgradig unattraktiv geworden. Wenn die Patienten dann ins Krankenhaus gehen, führt das wiederum zu überfüllten Notaufnahmen und zunehmender Belastung der Ärzte. Das Kongressmotto soll zum Nachdenken anregen. Wir brauchen eine Wertediskussion, die am Ende den ökonomischen Aspekt nicht ausklammert.

Eines Ihrer Kernthemen ist die Registerarbeit. Sie sehen das Traumaregister durch die Datenschutz-Grundverordnung bedroht.

Seit 25 Jahren erheben wir Unfalldaten bei Schwerverletzten, um die Qualität der Patientenversorgung zu sichern und die Behandlung weiterzuentwickeln. Knapp 300.000 Patientenfälle sind seitdem von fast 700 Kliniken in Deutschland erfasst worden. Es beteiligen sich auch Kliniken aus dem Ausland wie z.B. aus Finnland, der Schweiz, Österreich, Belgien, Portugal und den Vereinigten Arabischen Emiraten. In Deutschland macht uns im Moment der Datenschutz enorme Probleme, denn seit Einführung der Datenschutz-Grundverordnung sind wir gezwungen, alle zumeist schwer verletzten Patienten für die Zustimmung zur Verwendung ihrer Daten, obwohl diese nur pseudonymisiert in das Register eingegeben werden, zu fragen. Daher gibt es für 2018 viele Kliniken, die praktisch keine Daten eingeben. An der BG Klinik Ludwigshafen haben wir alle Patienten nacherfasst und angeschrieben, ob sie einverstanden sind. Die Leute sind schwer verletzt und gehen von hier aus nicht selten in eine Neuro-Reha. Fragen Sie mal jemanden, dem es gerade ganz schlecht geht, ob man seine Daten verwenden darf. Die Angehörigen sind verunsichert, wenn man mit so einem Fragebogen kommt. Unter 50% haben sich zurückgemeldet. Die Polytraumversorgung wird sich nicht weiterentwickeln, wenn man diese Registerarbeit nicht macht.

Sie werden auf dem Kongress auch eine politische Lösung des Problems fordern.

Eine unserer Forderungen an den Gesetzgeber ist, die Datenerhebung verpflichtend einzuführen. Wenn ein Gesundheitsminister ein Gesetz erlässt, das besagt, die Daten der schwerverletzten Patienten dienen der Qualitätssicherung der Versorgung – was in meinen Augen ja gar nicht zur Diskussion stehen dürfte – dann wäre die Datenerhebung kein Problem mehr. Diese Daten sind pseudonymisiert. Im Register wird kein Name, kein Geburtsdatum, keine Adresse erfasst, nur eine Nummer, die auch nur die Klinik selbst zurückverfolgen kann. Zudem ist es in der Geschichte der Register noch nicht vorgekommen, dass ein Patient gegen die Verwendung seiner Daten widersprochen hat. Wir haben also überall enorme Datenflüsse, aber wir können sie nicht verwenden. Das muss sich ändern!

Mit welchen medizinischen Themen wird der Kongress sich befassen?

Eine Kernbotschaft ist die Prävention, da reden wir gerade über E-Scooter, die ersten Schwerverletzten gibt es schon. In Frankreich wurde das Gesetz gerade wieder verschärft, bei uns macht man es relativ locker, das sehen wir schon mit gewissen Bedenken. Wir in der Fachgesellschaft verstehen nur schwer, warum man nicht wie in anderen Ländern für Zweiradfahrer generelle Helmpflicht einführt, also auch für Fahrradfahrer und gerade E-Bike-Fahrer. Ein weiteres Thema wird die Fort- und Weiterbildung sein. Man setzt heute viel mehr auf Kursformate und unterrichtet nicht mehr nur am Patienten. Die BG-Kliniken bekennen sich zum Beispiel komplett zu einem Fraktursimulationskurs. Das ist ein neues Format, bei dem man am Modell sehr realitätsnah unter kompetenter Anleitung erlernen kann, wie man auch komplexe Fraktursituationen beherrscht. Auf dem Kongress werden wir ein so genanntes Wet-Lab haben, um die neuen Möglichkeiten der Weiterbildung dem breiten Fachpublikum zu demonstrieren.

Der DKOU ist einer der größten Kongresse im Fachgebiet der Unfallchirurgie und Orthopädie auf der Welt. Sie haben sicher viel zu tun im Moment!

Das ist schon ein riesiges Rad, das da gedreht wird, mit vielen Kontakten, Verbindungen und Dingen, die man berücksichtigen muss. Unserem Kongressteam hier in der Klinik um Dr. Matthias Münzberg und Dr. Andreas Gather gebührt höchste Anerkennung. Wir erwarten zwischen elf- und zwölftausend Besucher aus aller Welt. Kanada und Italien sind die diesjährigen Gastländer. Immer zwei bis drei der insgesamt 15 Parallelsitzungen sind auf Englisch. Wir haben einen tollen Festredner, Herrn Prof. Norbert Lammert, den ehemaligen Bundestagspräsidenten, der mit Sicherheit zu dem Thema Werte einen substantiellen Beitrag leisten kann. Und auch sonst lohnt es sich, den Kongress in Berlin zu besuchen. Wir stellen das Programm gerade fertig, das macht auch mir richtig Freude!

Was werden Sie von diesem Jahr Ihrer Präsidentschaft mitnehmen?

Ich knüpfe in diesem Jahr extrem viele Kontakte, die für unser Haus wichtig sind: In der Politik, zu anderen Fachgesellschaften, internationale Kontakte, Forschungskooperationen und so weiter. Ich bin unheimlich viel unterwegs - Kanada, Portugal, Indien, um nur einige Länder zu nennen - was nur dadurch möglich ist, dass ich sehr gute Vertreter im Haus habe. Das ist alles auch anstrengend und es ist auch gut, wenn sich das im nächsten Jahr wieder etwas beruhigt.

 

 

GESCHRIEBEN VON Ute Kühnlein
Ute Kühnlein
AM 11.September 2019 01:33:32